Soziale Innovationen, verstanden als rekonfigurierte und neu kombinierte soziale Praktiken (Howaldt & Schwarz, 2010), werden in der Debatte zu einem notwendigen gesellschaftlichen Wandel immer häufiger als signifikante Katalysatoren thematisiert. Insbesondere für eine sozial-ökologische Transformation seien deren Genese und Diffusion grundlegende Bedingung (Boddenberg et al., 2017; U. Brand & Wissen, 2017). Im Bereich der Transitionsforschung (Sustainability Transitions Research) werden soziale Innovationsprozesse, die bestehende nicht-nachhaltige Institutionen herausfordern, umwandeln und ersetzen dabei als transformative soziale Innovationen bezeichnet. Hier findet sich ein Forschungsansatz, der die Verknüpfung sozialer Innovationen mit gesellschaftlichen Wandlungsprozessen klar ins Zentrum seiner Analyse stellt. Trotzdem derartige Ansätze existieren, sind die Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen sozialer Innovationen immer noch unzureichend durchdrungen (Butzin et al., 2013; M. Kleverbeck & Terstriep, 2018; S. Ruijsink et al., 2017). Vor diesem Hintergrund soll es Aufgabe dieser Arbeit sein, hier weiterführende Erkenntnisse zu generieren. Dabei wird sich vor allem auf einen Aspekt konzentriert, der in der Literatur wenn überhaupt, dann oftmals nur als Randthema behandelt wird: der „Geographie“ derartiger Prozesse. Ziel der Forschungsarbeit ist es damit, die Bedeutung von Raum bei der Entstehung sozialer Innovationen genauer zu bestimmen.
Das Vorhaben stützt sich dabei auf ein dynamisches und relationales Raumverständnis. Aufbauend auf der Idee, dass soziale Innovationen das Ergebnis komplexer Vernetzungsprozesse zwischen Menschen, aber auch nicht-menschlichen Entitäten sind (Laux, 2018), erfolgt die Bestimmung der Geographie ihrer Entstehung anhand der räumlichen Ausprägung der ihnen zugrunde liegenden Beziehungen. Durch diese Beziehungen spannt sich ein so genanntes Ökosystem für die untersuchten sozialen Innovationen auf – ein Geflecht an unterstützenden und aber auch störenden Akteur:innen, die die Initiativen welche die sozialen Innovationen hervorbringen mit relevanten Ressourcen versorgen oder aber derartige Empowermentprozesse (Avelino et al., 2020) auch untergraben. Die Bedeutung des Raumes in diesen Gefügen wird dabei in Anlehnung an relational ausgerichtete wirtschaftsgeographische Untersuchungen (Bathelt & Glückler, 2018; Gugerell & Penker, 2020; Lang et al., 2019; Schalljo, 2018) durch die Konzepte der „Nähe“ und „Distanz“ erschlossen. Dass das Ausmaß an räumlicher Nähe (und Distanz) zwischen Innovationsakteur:innen eine zentrale Rolle für die notwendig stattzufindenden Wissensaustausch-, Lern- und Erfahrungsbildungsprozesse spielen, belegen dabei eine Vielzahl empirischer Studien (Balland et al., 2015; Broekel, 2015; Coenen et al., 2010; Ibert et al., 2014; Ibert & Kujath, 2011). Hier zeigt sich aber auch, dass räumliche Nähe oftmals nur eine unterstützende Funktion hat, der Innovationsprozess jedoch stark mit der Ausprägung der Differenzen auf Beziehungsebene, sprich, relationalen Nähe- und Distanzdimensionen, zusammenhängt. Leider sind derartige Untersuchungen bisher jedoch auf vor allem technologische Innovationen beschränkt. In der vorliegenden Arbeit soll nun geprüft werden, inwieweit geographische (räumlich, temporär räumliche und quasi-räumliche) sowie relationale (kognitive, organisationale, institutionelle, soziale und persönliche) Nähe- und Distanzformen einen geeigneten raumbasierten Ansatz bieten, um auch den Entstehungsprozess sozialer Innovationen zu erklären. Hierfür werden die Entstehungsgeschichten fünf sozialer Innovationen im Bundesgebiet mithilfe der Methode der Innovationsbiographien (Butzin et al., 2013; M. Kleverbeck & Terstriep, 2018) genauer untersucht. Die Genese dieser neu konfigurierten sozialen Praktiken im Bereich der Ernährung, Energie, Gesundheit, Online-Kollaboration sowie dem Bereich der Telekommunikations- & Internetinfrastruktur kann so raum-zeitlich erfasst werden und soll durch eine vergleichende Untersuchung der sich darin zeigenden Zusammenhänge räumlicher und relationaler Nähe- und Distanzdimensionen Aufschluss über die übergreifenden räumlichen Entstehungsmuster sozialer Innovationen liefern.