Problemstellung
Die rasche Erreichung der Klimaneutralität ist eine der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Um das Klimaschutzziel einer globalen Erwärmung von maximal 1,5 °C zu erreichen, muss das meiste davon noch in diesem Jahrzehnt geschehen – auch mit Blick auf die Einhaltung internationaler Verpflichtungen (z. B. des Pariser Abkommens) sowie von EU- und nationalen Vorschriften. Dies erfordert grundlegende Veränderungen in mehreren Handlungsbereichen (Energie, Verkehr, Ernährung usw.) und über alle Sektoren (öffentliche Hand, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft) hinweg.
Städte spielen eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der Klimaneutralität, sowohl aufgrund der Häufung und Kombination von Minderungsherausforderungen als auch aufgrund des innovativen Potenzials und der transformativen Kraft, die Städten zugeschrieben werden. Allerdings sind die derzeitigen städtischen Governance- und Innovationssysteme kaum in der Lage, das breite Spektrum an tiefgreifenden Veränderungen schnell genug einzuleiten, die für die Transformation und Dekarbonisierung der Städte erforderlich sind. Insbesondere kleine und mittelgroße Städte sowie Städte in geografischen Randlagen sind mit begrenzten Kapazitäten und Wissensbeständen sowohl in ihren öffentlichen Verwaltungen als auch durch das Fehlen von Wissenschafts- und Innovationsakteuren konfrontiert.
Wenngleich umfangreiche sowohl disziplinäre als auch prozessorientierte Erkenntnisse zu erforderlichen Maßnahmen und Wegen zur Begrenzung der Treibhausgasausstoßes vorliegen, sind gängige Transferansätze bisher nicht hinreichend gewesen, um die Kluft zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Anforderungen zur Umsetzung zu überwinden.
In der Stadt Görlitz bestehen sowohl politische als auch zivilgesellschaftliche Bestrebungen und auch bereits erste konkrete Handlungsansätze klimaneutral zu werden. Gleichzeitig steht Görlitz stellvertretend für eine Stadt, die stark von den Folgen des demografischen und wirtschaftlichen Wandels betroffen ist. Daher sind in Görlitz sowohl die Institutionen und Strukturen als auch das erforderliche Wissen und die Kapazitäten begrenzt, um die bereichs- und sektorübergreifenden Herausforderungen des Ziels der Klimaneutralität zu bewältigen.
Zielsetzung
Das Projekt adressiert die oben genannten kritischen Lücken und zielt darauf ab, in Görlitz als Pilotfall ein transformatives urbanes Innovationssystem für Klimaneutralität mitzugestalten. Zu diesem Zweck wird ein intensiver transdisziplinärer Wissenstransfer zwischen dem IÖR und der Stadt und ihren lokalen Akteuren stattfinden. Dabei wird auf aktuellen Erkenntnissen aus der Nachhaltigkeits-, Transformations- und Stadtforschung sowie auf inter- und transdisziplinären sowie transformativen Forschungserfahrungen aufgebaut.
Über die konkreten lokalen Ergebnisse hinaus soll das Görlitzer Pilotprojekt ein Referenzfall für andere deutsche und europäische kleine und mittelgroße Städte in peripheren Regionen sein.
Forschungsfragen
TRUST wird sich auf drei Transferströme konzentrieren, die sich auf die folgenden Wissensbereiche beziehen:
(I) Transition Thinking: Wie können komplexe urbane Systemveränderungen verstanden und gesteuert werden?
(II) Transition Governance und Methoden: Wie können Institutionen, Prozesse, Instrumente, Techniken und Werkzeuge gestaltet werden, um einen transformativen städtischen Wandel zu initiieren und zu steuern?
(III) Urbane Klimaneutralität: Wie lassen sich klimaneutrale urbane Systeme entwerfen, die zugleich den Nutzen für andere Bereiche der Stadtentwicklung erhöhen und Konflikte sowie Rebound-Effekte vermeiden?
Methodik
Das Projekt basiert auf dem Transition-Management-Ansatz, der ursprünglich entwickelt wurde, um sozio-technische Innovationssysteme zu aktivieren und transformative Dynamiken in Richtung einer nachhaltigen Zukunft zu initiieren und zu beschleunigen. Der Ansatz wurde in den letzten Jahren auch im IÖR breit erprobt und auch für die Anwendung in Städten und der Stadtentwicklung weiterentwickelt (Projekte: Zukunftsstadt, TransVer).
Im Projekt wird es verschiedene Arten von transdisziplinären Formaten geben: Ein "Transition Team" wird den gesamten Transferprozess mitgestalten und umsetzen. In eine Reihe von 12 maßgeschneiderten "Transition Arenas", werden gemeinsam Analysen, Visionen, Pfade und Maßnahmen für die städtische Klimaneutralität bis 2030 erarbeitet, indem Akteure vernetzt, Wissen integriert und Strategien aus dem öffentlichen Sektor, der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft aufeinander abstimmt werden. In diesen Arenen sollen 1) ein gemeinsames Verständnis für die transformative Herausforderung der Klimaneutralität und ein (Multi-)Systembewusstsein geschaffen werden; 2) Perspektiven für nachhaltige Zukünfte und weitreichende Leitvisionen für die Klimaneutralität unter Nutzung verschiedener Foresight-Methoden und kreativer Techniken erarbeitet werden; 3) Übergangspfade zur Klimaneutralität durch moderiertes Backcasting entwickelt werden, die als konkrete Schritte und Meilensteine in eine "Transformations-Agenda" für Görlitz münden; und 4) strategische "Transformationsexperimente" vereinbart werden, die zur angestrebten Zukunft beitragen und die Pfade zur Klimaneutralität vorzeichnen.
Das Fachwissen zu Transition Thinking, Transition Governance und urbaner Klimaneutralität wird in allen Schritten des Transferprozesses von den verschiedenen Forschungsbereichen des IÖR bereitgestellt. Darüber hinaus ist vorgesehen, für spezifische oder neu aufkommende Themen ergänzende externe Expertise insbesondere aus anderen Leibniz-Instituten und aus dem IÖR-Partnernetzwerk sowie aus ICLEI-Mitgliedsstädten hinsichtlich praktischer Erfahrungen einzubinden.
Angestrebte Ergebnisse
Das gemeinsame Verständnis, neue Diskurse und Schnittstellen für den Wissenstransfer sowie neue Partnerschaften für Klimaneutralität leisten einen wesentlichen Beitrag zur Transformation lokaler Governance- und Innovationssysteme und stärken die Transformationsfähigkeit der Stadt Görlitz:
Zunächst soll ein gemeinsames Verständnis systemischer Probleme und potenzieller Lösungen unter allen Akteuren im Hinblick auf die Herausforderung, einen transformativen Wandel zur Klimaneutralität in Görlitz einzuleiten und zu beschleunigen, hergestellt werden (Akteurs-, Netzwerk- und Systemanalyse).
Dies ermöglicht es den beteiligten Akteuren aus allen Sektoren und Handlungsfeldern, ihre Institutionen und ihre eigenen Agenden an die gemeinsam erarbeiteten Visionen, Wege und Maßnahmen anzupassen und die Synergien der Partnerschaften sowie die Bündelung von Ressourcen und Kompetenzen für die Klimaneutralität zu nutzen (Visionsentwicklung, Transformations-Agenda und Transformations-Experimente).
Weiterhin werden wissenschaftliche Erkenntnisse zum transformativen Forschungsansatz sowie zur Aktivierung urbaner Innovationssysteme in die Debatten der Transformations- und Stadtforschung eingebracht.