Viele Menschen in deutschen Großstädten erleben es täglich: Wohnraum ist knapp und teuer und der Wohnstandort kaum mit den diversen Anforderungen der eigenen Lebenssituation vereinbar. Gleichzeitig kämpfen viele kleinere Städte in Randlagen weiterhin mit dem Rückgang der Bevölkerung und dem Leerstand von Gebäuden. In der politischen Diskussion zum Wohnraum dominieren allerdings das Defizit in den Ballungsräumen und der Neubau als notwendige Lösung. Dieser Neubau ist mit erheblichen ökologischen Folgen verbunden. Die Neuentwicklung von Siedlungen verbraucht nicht nur knappe und nicht vermehrbare Ressourcen wie Fläche und Baumaterialien. Sie bedeutet auch Eingriffe in Natur und Landschaft sowie zusätzliche Treibhausgas- und Schadstoffemissionen mit negativen Folgen für das Klima, die Vielfalt und Vernetzung von Lebensräumen, die Artenvielfalt und den Landschaftswasserhaushalt. Hinzu kommt die wachsende Erkenntnis, dass sich der angestrebte Neubau von Wohnungen ohnehin nicht wie geplant realisieren lässt.
Im Policy Paper "Revitalisieren statt neu bauen! – Regional denken und Wohnraum nachhaltig schaffen" regen die Autor*innen des IÖR daher ein Umdenken in der Raumentwicklungs- und Wohnungspolitik an. Ein systemischer Ansatz sei erforderlich, der Schrumpfung und Wachstum, Stadt und Land, Umbau und Neubau integriert in den Blick nimmt. Es brauche Strategien, die nicht nur einen Ausgleich zwischen überlasteten Großstädten bzw. Großstadtregionen auf der einen Seite und nicht ausgelasteten Klein- und Mittelstädten auf der anderen Seite herstellen können. Unabdingbar sei es darüber hinaus, ökologische Ziele bei Planung und Strategieentwicklung umfassend zu berücksichtigen.
"Insbesondere die Revitalisierung des vorhandenen Gebäudebestandes, etablierter Stadtquartiere und letztlich ganzer Städte und Regionen bietet viele Ansatzpunkte, um den aktuellen Herausforderungen in der Regional- und Kommunalentwicklung zu begegnen sowie Potenziale für eine nachhaltige Entwicklung erschließen zu können", betont Prof. Robert Knippschild, Leiter des IZS und einer der Autor*innen aus dem IÖR. In das Policy Paper sind vielfältige empirische Erkenntnisse des IÖR eingeflossen. Die Autor*innen nennen darin verschiedene Kriterien für einen integrierten Politikansatz, der auf eine nachhaltige Raumentwicklung und Schaffung von Wohnraum abzielt. Ökologische Belange adressieren, Innenentwicklung stärken, Gebäudebestand revitalisieren und Neubau reduzieren, Experimente und Modellvorhaben nutzen sind dabei nur vier der zehn aufgezeigten Aspekte. Nicht zuletzt braucht es übergemeindliche Rahmensetzungen auf nationaler und föderaler Ebene, um kommunales Konkurrenzdenken zu überwinden, ebenso wie einen offenen gesellschaftlichen Dialog darüber, welche Ansprüche ein nachhaltiges Wohnen in Zukunft erfüllen kann und soll.
Zusatz-Material
In der Projektreihe "Probewohnen" untersucht das IZS in Görlitz wie Mittelstädte in peripheren Lagen neue Einwohner*innen gewinnen können. Interessierte konnten den Wohn- und Arbeitsstandort Görlitz bis zu drei Monate lang testen. Die wissenschaftliche Befragung der Teilnehmenden zielte darauf ab, diejenigen Faktoren zu identifizieren, die für erwerbstätige Menschen attraktiv wirken und die die Anziehungskraft dieser Orte positiv beeinflussen.
Wissenschaftlicher Kontakt
Prof. Dr. Robert Knippschild, E-Mail: R.Knippschildioer@ioer.de